Historisches Fechten? - Eine "Annäherung"
Was machst du da? Wie nennt man das? Sind wohl die typischen Fragen, die Menschen uns stellen, wenn sie uns in der Ausübung unserer Sportart sehen. Um den Menschen dies authentisch erklären zu können, ist es sehr wichtig, dass wir selbst wissen, was wir eigentlich mit Historischem Fechten meinen uns was unsere persönlichen Ziele dabei sind. Ich möchte euch heute meine Ansätze dazu erklären, die sich über die vergangenen 20 Jahr auch immer wieder gewandelt haben.
1. Was bedeutet Historisch bzw. Geschichte?
Der Eigenname unserer Sportart setzt sich aus zwei Begriffen Zusammen, dem Historischen und dem Fechten. Beginnen wir mit dem ersteren. Als Historiker möchte ich hier eine etwas tiefgreifendere aber doch nicht zu abgehobene Deutung geben. Ich werde mich dabei grundsätzlich an die Definition von Geschichte halten, die Stefan Jordan in "Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft"[1] aufzeigt, da mir diese selbst sehr gut hilft, mit dem Gegenstand der Geschichte kritisch zu arbeiten. Historisch kommt von Historie und wird mit dem deutschen Wort Geschichte gleichgesetzt. Geschichtliches Fechten klingt ja auch sehr merkwürdig. Geschichte wird grundsätzlich als Begriff zur "Bezeichnung früherer Ereignisse und der beteiligten Persönlichkeiten verwendet". Das Wort leitet sich vom griechisch-lateinischen "historia" ab. Historia bezog sich dabei in der grundlegenden Bedeutung auf die "res gestae", also die "geschehenen Taten und Dinge". Zusätzlich verstand man "historia" auch als "historia rerum gestarum", also die "Erzählung von den geschehenen Taten und Dingen". Historia hat also grundsätzlich zwei Bedeutungen. Einmal die "geschehenen Taten und Dinge" selbst und zweitens die "Erzählung von geschehenen Taten und Dingen".[2]
Das Wichtigste, was wir dabei verstehen müssen, ist der Bezug von Geschichte bzw. Historia und Vergangenheit. Wenn wir historisch arbeiten, dann beziehen wir uns auf Gegenstände der Vergangenheit. Wir selbst tun dies aber in der Gegenwart, in welcher das Vergangene nicht mehr da ist. Geschichte bezieht sich zwar auf die Vergangenheit, ist aber nicht die Vergangenheit. Uns muss bewusst sein, dass Geschichte Teil der Gegenwart ist. Setzen wir uns also mit dem Fechten der Vergangenheit auseinander, machen wir dies in der Gegenwart. Dafür nutzen wir Gegenstände, Berichte oder ähnliches, welche uns Informationen zu Ereignissen und Persönlichkeiten der Vergangenheit liefern. Diese Überreste der Vergangenheit nennen wir in der Geschichtswissenschaft Quellen. Viele Überreste können Quellen sein, von schriftlichen Überlieferungen bis hin zu Bauresten und archäologischen Funden. In Bezug auf das Historische Fechten können dies auch viele unterschiedliche Quellen sein, von Fechthandschriften, Bildern über Urkunden bis hin zu erhaltenen Schwertern oder gar Räumlichkeiten. Diese Quellen sind die Basis, anhand derer wir Historiker unser Bild der Geschichte entwerfen. Es bleibt aber immer lediglich ein "Bild" der Vergangenheit, welches feststellen kann, wie diese tatsächlich war.
Wir "entwickeln eine Vorstellung, wie sie [die Vergangenheit] gewesen sein könnte". [3]
2. Was ist Fechten?
Diese Frage mag eventuell verwundern. Aber gerade im historischen Kontext, sollte der Begriff des Fechtens und seiner Synonyme durchaus kurz besprochen werden. Wenn wir heute von Fechten sprechen, dann ist der Begriff im kollektiven Gedächtnis vom olympischen Fechten belegt, also dem modernen Sportfechten mit Säbel, Degen und Florett zu Wettkampfzwecken. Das Wort Fechten hat aber in der Vergangenheit andere Bedeutungen durchlaufen, die sich heute noch im Militär finden lassen. So sprechen wir in der Bundeswehr noch heute vom Gefecht, der Gefechtsausbildung dem Gefechtsdienst uvm. statt von Kampf. Natürlich mischen sich die Begriffe Kampf und Gefecht in der Gegenwart immer mehr.
Das Wort Fechten nutzten die Zeitgenossen der spätmittelalterlichen Fechtbücher des 14.-15. Jahrhunderts als Oberbegriff für die gewaltvolle Auseinandersetzung. Insbesondere nutzten sie es als Oberbegriff für ihre Kunst des bewaffneten Kampfes und sprechen ab dem 14. Jahrhundert von der Kunst des Fechtens mit z.B. dem Langen Schwert oder dem Messer.
Der weitaus ältere Begriff für den bewaffneten Kampf ist das "Schirmen". Das Verb schirmen wird bereits in der hochmittelalterlichen höfischen Literatur, wie den Epen von Tristan, Parzival und anderen, verwendet und dies meist im Zusammenhang mit anderen körperlichen Voraussetzungen eines Ritter, wie dem Laufen, Ringen, Schießen oder Springen.[4]
Wann genau der Begriff des Fechtens auftaucht und ob sich ein detaillierter Unterschied zum Schirmen ausmachen lässt, bedarf einer intensiveren Forschung, die im Rahmen dieses Artikels nicht gemacht werden konnte aber ein lukratives Ziel neuer wissenschaftlicher Arbeiten sein sollte. In jedem Fall wird der Begriff des Schirmens noch im 16. Jahrhundert gebraucht und der erfolgreichste Fechtmeister des 15. Jahrhunderts, Paulus Kal, nennt sich einen Schirmmeister und nicht einen Fechtmeister.
Spätestens zum Ende des 16. Jahrhunderts hat das Wort Fechten das Schirmen vollständig abgelöst und wird bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert mindestens als Oberbegriff des bewaffneten Kampfes und teilweise auch als Oberbegriff des Kämpfens allgemein verwendet.[5]
Der Begriff des "Kampfes" meint im Spätmittelalter vorzugsweise den "Zweikampf". Hier im speziellen den Ehrenkampf an den Kampfgerichten. Diese Duelle sind nicht zu verwechseln mit den gerichtlichen Zweikämpfen, den sogenannten Ordalen, zur göttlichen Urteilsfindung. Zwei sehr bekannte Kampfgerichte des 14. und 15. Jahrhunderts waren jene der Stadt Hall in Schwaben und das Burgräflich Nürnbergische Kampfgericht.
3. Was ist also Historisches Fechten?
Historisches Fechten als gegenwärtige Bewegung ist gemäß dieser Herleitung die Ausübung des Fechtens mit Bezug zu den vergangenen Fechtkünsten unter den Nutzung erhaltener zeitgenössischer Überreste, den Quellen. Ich spreche hier mit Absicht von "Bezug" und nicht von Rekonstruktion oder anderen. Denn Bezug bleibt neutral und bezieht alle Gründe mit ein, die jemand haben kann. Wichtig sollte dabei sein, dass der Begriff der "Rekonstruktion" bereits sehr fragwürdig scheint. Denn wie ich oben beschrieben habe, kann es sich nur um eine Annäherung an die Vergangenheit handeln. Dementsprechend wäre Annäherung der korrekter Begriff. Hört sich natürlich nicht so gut an. Also einfach im Hinterkopf den Begriff "Annäherung" behalten.
Will man sich ohne Bewegung mit dem Thema beschäftigen, also z.B. geschichtswissenschaftlich oder germanistisch zur Fechtkunst der Vergangenheit forschen, dann ist es fraglich, ob man vom Historischen Fechten sprechen sollte. Ich verwende hier eher den Begriff der Fechtgeschichte oder die historischen Fechtkünste, also mit kleinem "h". Wie mich mein Kollege Cornelius Bertohold vor einigen Jahren zurecht unterrichtete, ist "Historisches Fechten" ein Eigenname, während sich "historisches Fechten" auf das Fechten in(!) der Vergangenheit bezieht. Es ist dementsprechend durchaus korrekt bei der Sportart vom "Historischen Fechten" zu sprechen und in einem wissenschaftlichen Aufsatz vom "historischen Fechten".
4. Was ist Historisches Fechten für mich?
Die wohl wichtigste Frage die es zu beantworten gilt, ist nun aber, was Historisches Fechten für mich selbst bedeutet. Diese Frage ist stark mit den eigenen Zielen verbunden, die ich mit der Fechtkunst erreichen möchte. Ich persönlich habe hier viele Bezüge. Als Historiker möchte ich natürlich die Vergangenheit um die Fechtkünste und Fechtmeister so gut wie möglich erforschen, also durch wissenschaftliches Arbeiten eine große Annäherung um die Ereignisse erreichen.
Als Fechter habe ich wiederum zwei Ziele. Das erste Ziel ist eine möglichst große Annäherung an das, was die Meister und Fechter uns mitteilen. Dabei möchte ich aber nicht zu einer Kopie der historischen Persönlichkeiten werden. Daher habe ich als Fechter ein zweites großes Ziel, nämlich zu dem besten Fechter zu werden, der ich nur irgendwie werden kann. In den Waffengattungen, in denen ich fechte. Dazu nutze ich natürlich die historischen Quellen. Aber es fließen auch alles eigenen Erfahrungen und Kenntnisse mit ein, die ich mir auf andere Weise aneignen konnte und kann. Denn es geht mir, wie gesagt, nicht darum eine Kopie einer verstorbenen Person zu werden, sondern die Kenntnisse dieser Personen zu erfahren, zu nutzen und anzuwenden, um mich selbst weiterzuentwickeln. Eine Philosophie, die übrigens die Meister selbst auch damals schon vertreten haben. Weiterentwicklung statt Stillstand.
Zusammenfassung
Die Sportart oder Kunst "Historisches Fechten" als Eigenname der zwei Worte mit eigener Deutung neu verbindet, bedeutet also den Bezug zur Fechtkunst der Vergangenheit unter Nutzung historischer Quellen. Historisches Fechten ist demnach immer ein modernes, gegenwärtiges Phänomen, also eine moderne Sportart, die über die Geschichte einen Bezug zur Vergangenheit herstellt. Wie jeder seinen Bezug herstellt, welche Ziele er damit verfolgt, bleibt dabei aber genauso divers, wie in jeder anderen Bewegungskunst oder Sportart. Am Ende ist es das, was ihr daraus macht. Also habt Spaß an dieser tollen Sache, dem Historischen Fechten !
Ihr habt noch Fragen oder wollt einen weiteren Themenbereich angesprochen haben? Dann schreibt mir und ich ergänze den Artikel oder mache evtl. einen weiteren zu deinem Thema.
[1] Jordan, Stefan: Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft, 4. Auflage Paderborn, Stuttgart 2018, S. 19f.
[2] Ebenda.
[3] Ebenda.
[4] Marold, Karl[Hrsg.]: Gottfried von Straßburg Tristan, Band 1, 2. Auflage, 4. Abdruck, Berlin 2004, S. 38. Vers 2111f.
[5] Vergleiche dazu die Werke von Jacob Happel aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der das Fechten als Oberbeggriff für alle Kampfesweisen vom Ringen und Boxen über das Stock-, Stab- und Gerätfechten bis hin zum Gewehrfechten nutzt. Als Beispiel sei genannt Happel, Jacob: die Boxkunst, Leipzig 1863.
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