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Joachim Meyer und "Das erste deutschsprachige LEHRBUCH zum Fechten"

Im vorliegenden Artikel möchte ich einen kleinen Einstig in einen meiner Forschungsbereiche geben, der für Fechter und Fechtlehrer von hohem Interesse sein dürfte. Als Ausbilder, Lehrer und Coach wurd eich umfassend ausgebildet und habe viel in diesen Bereichen unterrichtet. Meine Kenntnisse versuche ich dabei auch in die Erforschung und den Gebrauch der alten Fechtbücher einzubringen. Der folgende Artikel dient daher als Einstieg. Eine detailliertere Veröffentlichung zum Thema soll aber erfolgen.

Die Tradition ein Buch zu besitzen, um das Wissen um die Fechtkunst zu sichern, ist sicher so alt, wie die Fechtkunst selbst. Wenngleich uns kein Fechtbuch vor 1300 erhalten geblieben ist.


Die alten Fechtmeister schreiben in ihren Texten immer wieder, das man das Fechten nicht aus Büchern allein lernen kann.


"Auch merke und wisse, dass man Bedeutung und Eigenschaften des Fechtens nicht so schreiben oder auslegen kann, wie man es gut mit der Hand vormachen und unterweisen kann." (GNM, HS 3227a fol. 15r)


"...weil diese ritterliche Kunst mit der Faust angegriffen und mit Zutun des ganzen Leibes erübt werden muss und daher mehr durch Erfahrung als aus Büchern erlernt werden kann." (J. Meyer, Kunst des Fechtens, Übersetzung Kiermayer S. 25)

Wozu also Bücher schreiben? Auch dazu lassen sich die Meister aus. Die Fechtbücher waren bis in das frühe 16. Jahrhundert nicht als Lehrbücher für den Schüler gedacht sondern vielmehr als gebündeltes Wissen um die Kunst, als Fachbuch quasi, welches vorwiegend Lehrern aber auch Schülern dienen sollte, indem die wichtigsten Fachbegriffe und Bewegungen festgehalten wurden. Die Grundlagenausbildung wurde hier z.B. nicht mit festgehalten, denn diese ist jedem Fechter das, was er wohl am innigsten behält. Vielmehr sind es die Lektionen, die besonderen Stücke die man festhalten wollte, sodass man die wichtigsten Prinzipien jederzeit nachschlagen konnte. In gewissem Sinne entsprechen sie modernen Handbüchern für Militärausbilder. Schon der deutsch-italienische Fechtlehrer Fiore Dei Liberi schrieb um 1400:


"...in addition let me just say that none of my students, including those mentioned above, have ever owned a book about the art of combat, except for Galeazzo da Mantova. And he put it well when he said that without books you cannot be either a good teacher or a good student of this art. And I can confirm it to be true, that this art is so vast that there is no one in the world with a memory large enough to be able to retain even a quarter of it. And it should also be pointed out that a man who knows no more than a quarter of the art has no right to call himself a Master." (J. Paul Getty Museum, Los Angeles, MS Ludwig XV 13 fol. 1r)


Das Buch dient dem Fechter oder Fechtlehrer also vorzugsweise als Gedankenstütze, da die Fechtkunst so groß ist, dass man immer wieder nachschauen muss. Auch das ist heute noch im Bereich der militärischen Ausbildung so. Die Themen und Unterrichtsbereiche sind so groß, dass ein guter Lehrer stets eine gute Unterrichtsvorbereitung macht, um im Rahmen seiner didaktischen Analyse auch die Inhalte erneut zu prüfen und aufzubereiten. Ein Buch bzw. Verschriftlichung ist ein Zeichen von Unterrichtsqualität. Wenngleich zu bezweifeln ist, dass diese Aussage für das Messerfechten Lecküchners zutrifft. Sein Werk ist sowohl für den Lehrer als auch den Schüler, wenngleich mit fester Struktur, doch so sehr mit Inhalten aufgeladen, dass ein Zurechtfinden oder eine guter Überblick kaum möglich scheint. Zumal er uns nach vielen Seiten darauf hinweist, das man sich aus all diesen Stücken das nehmen solle, was einem recht sei. So ist Lecküchner wohl das Extrem seiner Zeit, wenn es darum geht möglichst viele Technikabläufe schriftlich und bebildert festzuhalten. Fiore teilt uns zudem auch mit, das zu seiner Zeit nur keiner der Fechter und Herren aus seinem Umfeld ein Buch zur Fechtkunst besitzen außer seines Schülers, des Herrn Galeazzo da Mantova.


Die didaktische Struktur der Fechtbücher vor Joachim Meyer ähnelt sich also stark. Denn sie beruht hauptsächlich darauf Fechtlektionen bzw. technische Elemente in einer logischen Lernstruktur schriftlich und/oder bildlich darzustellen. Außen vor lasse ich hier rein repräsentative Handschriften deren Lehr- und Lerncharakter oft durchaus in Frage gestellt werden kann.


Joachim Meyer scheint diese Strukturen auch noch kennengelernt zu haben, wie sich aus der Struktur seiner Rostocker Handschrift zeigen lässt. Dort sammelte er die technischen Sammlungen alter Meister zum Ringen und Fechten, Bloß, in Harnisch und zu Ross. Hier lassen sich am Ende aber erste Schritte zu eigenen didaktischen Strukturen erkennen. So etwa im Rapierteil, um nur ein Beispiel aufzuzeigen. Dort bringt er viele Stile aus verschiedenen Ländern und kurzen Wehren zusammen und nennt Regeln. Dort zeigt er übrigens auch allerhand Varianten des Zornhau Ort.

Bereits in seinem ersten handschriftlichen Werk [1] beginnt er die Fechtkunst in einer Didaktik aufzubereiten, die nicht mehr einer Wissenssammlung gleicht, sondern ein methodisches Vorgehen für den Fechtschüler aufzeigt. Ohne auf diese Handschrift näher einzugehen, möchte ich direkt zu seinem gedruckten Hauptwerk von 1570 kommen, welches in seiner Fachlichkeit, Gesamtheit und didaktischen Struktur bis heute seines Gleichen nicht findet.


Lunds Universitets Bibliotek, MS A.4º.2, Lund Sweden ca. 1560, fol. 77r.

Joachim Meyer muss eine gewaltige praktische, kognitive und schriftliche Vorarbeit mit verschiedenen heute nicht mehr zugänglichen Skripten geleistet haben, um sein gedrucktes Werk zu schaffen. Allein sein Vorwort umfasst mehr Wissen zum Verständnis der Fechtkunst für Fechter und Meister als jedes vorher verfasste Fechtbuch. Dort legt er die gesamte didaktische Struktur der Fechtkunst detailliert dar, welche im in den späteren Kapiteln als Fundament für jede der Waffengattungen gilt. Auch zeigt er dort den Sinn und Zweck seine Fechtbuches auf. So maßt er sich nicht an zu meinen, das man aus seinem Buch allein das Fechten erlernen kann. Wer aber bereits bei einem Meister gelernt habe oder dies zusätzlich tue, dem sei das Werk eine Wissensstütze und diene zudem als Hilfe zu täglicher Übung. Ein Zweck, den das Buch auch heute noch nach 450 Jahren bestens erfüllt.


Die grundlegende Didaktische Struktur seine Buches ist die folgende. Im Vorwort erklärt er, das die Fechtkunst losgelöst von der Waffe stets die gleiche Struktur habe, welche er dort ausführlich darlegt. Wobei er erwähnt, dass die besten Übungen zum Erlernen des Hauens im Dussack zu finden sind. :-) Schwert, Dussack und Rapier haben die gleiche grundlegende Struktur. Lerne zuerst den Aufbau von Mensch und Waffe, dann lerne die Haltungen und Bewegungen von Körper und Waffe ohne Partner. Danach lerne mit dem Partner das Zufechten(Angreifen) und Versetzen(Verteidigen), dann die Handarbeit, dann den Abzug. Und übe dich schließlich in Stücken, die dir als Beispiele, nicht aber als festgesetzte Vorschriften dienen sollen. Stücke werden von Meyer nicht als Formen verstanden, sondern als technisch mögliche Varianten der zuvor erklärten Prinzipien. Immer wieder weist er dabei darauf hin, das die Stücke nur Beispiele seien und sie auch anders gemacht werden könnten. Denn letztlich könne ein guter Fechter auch ein eher schlechtes Stück erfolgreicher ins Ziel bringen als ein schlechter Fechter das beste Stück.


Die grundlegende Didaktik bzw. Lernreihenfolge der Fechtkunst ist sehr vereinfacht dargestellt die folgende:


Hauptstücke(Hauptteile):

Zufechten: Hauen & Stechen

Versetzen: von einfach bis kunstvoll

Handarbeit: alle Stücke in der mittleren & engen Mensur als Bsp. Durchwechseln, Winden, Zucken etc.

Abzug: Sich mit oder ohne Erfolg sicher vom Gegner lösen


Jedes dieser Hauptstücke wird von Meyer strukturiert und detailliert erklärt. Dabei nutzt er die verschiedenen Wehren jeweils, um besonders das für die Wehr entsprechend besondere Stück zu verdeutlichen. Das Schwert dient zur Einleitung und dort werden besonders die Handarbeiten gelehrt. Das Hauen und einfache Versetzen lernt man richtig beim Dussack und die richtigen Stöße beim Rapier. Will man die Fechtkunst also komplett verstehen, so muss man alle Wehren nach Meyer lernen und verstehen auch die Stangenwaffen und den Dolch. Und man sollte dringend sein Vorwort als Wegweiser nutzen.


Das Kapitel zum Langen Schwert enthält hier eine besondere Gliederung. Es enthält allgemeine Grundlagen zu den Hauptstücken, wobei sich auf das zeitgenössische Fechten bezogen wird, bei welchem der Stich im Langen Schwert eher selten angewandt wird. Gerade der Grundlagenteil um den Aufbau der Waffe, das richtige Halten der Waffe, die Gliederung der Blößen und die Beinarbeit ist hier als wesentliche Grundlagenschule der gesamten Fechtkunst zu verstehen. Nach der Grundlagenschule folgen zwei unterschiedliche Teile mit Stücken. Der erste Teil enthält Stücke gegliedert nach den Huten/Ausholpositionen. Auch hier wird der Stich bereits erwähnt in Form des Einschießens. Nach diesem Teil folgen dann Stücke der alten Meister. Hier bezieht sich Meyer auf die Lehren der Lichtenauertradition und legt diese in einer Klarheit und Deutlichkeit aus, die seines Gleichen nicht findet. Dabei nimmt er stets Bezug zu Zedeln. Es geht im hier nicht um die Vollständigkeit der Stücke der alten Meister, sondern um die Vervollständigung der Kunst des Langen Schwertes, indem er das aufzeigt, was nötig ist, um diese zu verstehen. Das Lange Schwert teilt sich also in sehr verschiedene Teile auf, die eine einzigartige Gesamtheit von 200 Jahren Fechttradition mit dem Langen Schwert vermitteln.


J. Meyer, Kunst des Fechtens, Langes Schwert Platte C (Leipzig Universitätsbibliothek, Signatur: 01B-2017-1340)

Das Kapitel zum Dussack wiederum ist als Grundlagenkapitel für alle kurzen Wehren, also einhändige Klingenwaffen eingefügt. Zudem bietet es die Grundregeln zum Erlernen der Häue und Versatzungen und vieler weiterer nützlicher Zusatzinformationen, die man nirgends sonst im Buch findet.


J. Meyer, Kunst des Fechtens, Dussack Platte A (Leipzig Universitätsbibliothek, Signatur: 01B-2017-1340)

Das Rapier ist bei Meyer die hohe Kunst, wie er im Langen Schwert dazu schreibt. Es vereint zu seiner Zeit alle Waffen in sich mit Hau, Stich und Handarbeiten und bietet damit die meisten Möglichkeiten. Die Besonderheiten des Kapitels zum Rapier bestehen im korrekten Erlernen der Stiche, erweiterten Kenntnissen und Übungen zum Hauen, Versetzen und Beinarbeit. Ganz besonders ist hier Fechttaktik und Fechtstrategie eingebunden.



J. Meyer, Kunst des Fechtens, Rapier Platte A (Leipzig Universitätsbibliothek, Signatur: 01B-2017-1340)

Die Grundstruktur innerhalb der Waffenkapitel ist gleicht sich in folgender Form:

1. Einleitung (Waffe und Mensch)

2. Huten

3. Häue

4. Stiche

5. Versetzen

6. Handarbeit (im Dussack nicht, da bereits im Schwert; im Rapier erneut für Besonderheiten)

6. Stücke


Um die Fechtkunst zu verstehen, sollte man also Joachim Meyers Werk komplett lesen, verstehen und alle Wehren erlernen.


Die didaktische Struktur des Fechtbuches ist in seiner Zeit revolutionär. Sie richtet sich an den Lernenden bzw. Übenden. Und durch die logische konstruktive Struktur ist es ein wirkliches Lernbuch. Und und in Zielstellung und Struktur das erste mir bekannte Lehrbuch zur Fechtkunst in deutscher Sprache. Ein Fechtlehrbuch in diesem Umfang mit über 4 Wehren und dieser Vollständigkeit der Themen und Inhalte zur Fechtkunst ist mir auch aus jüngerer Zeit nicht bekannt. Damit hat Joachim Meyer nicht nur das Wissen um die Fechtkunst des deutschsprachigen Raums festgehalten, sondern ein bisher nicht genug gewürdigtes Lehrbuch geschaffen, welches von den Wehren losgelöst bis heute und auch für das olympische Fechten wichtige und zeitlose Grundlagen enthält.


Wenn man das Fechten des 14.-16. Jahrhunderts nach deutscher Schule verstehen möchte und ein Lehrbuch braucht, dann kann es nur das gedruckte Werk von Joachim Meyer sein. Und sein Titel ist in keiner weise übertrieben, wenn er von "gründtlich" schreibt.


Gründtliche Beschreibung, der freyen Ritterlichen unnd Adelichen Kunst des Fechtens : in allerley gebreuchlichen Wehren, mit viel schönen und nützlichen Figuren gezieret & fürgestellet.


Colorierter Druck von Meyers Kunst des Fechtens. (Leipzig Universitätsbibliothek, Signatur: 01B-2017-1340)

JOACHIM MEYERS LEHRE BEI IN MOTU

Seit mehr als 13 Jahren ist Joachim Meyers Lehre Grundlage unseres Curriculums. Ich forsche auch seit jender Zeit intensiv zu seiner Didaktik.

Dabei nutzen wir Meyer nicht, indem wir all seine Stücke nacheinander durchfechten. Vielmehr wurden auf Grundlage seines Lehrbuchs Übungen entworfen, um die zeitgenössische Fechtkunst heutigen Fechtern näher zu bringen. Dazu dienen vor allem seine umfangreiche Grundlagenlehre im Bezug auf Fechttheorie, Hauen, Stechen, Versetzen, Handarbeiten und den Abzug. Die zu jeder Wehr zusätzlich am Ende erwähnte Sammlung von Stücken wird dann eher genutzt, um ausgewählte Übungen zu gestalten oder reine Stückfecht-Kurse anzubieten. Dies ist auch ganz im Sinne seiner Didaktik. Denn er sagt immer wieder, dass seine Stücke nur zum Verständnis und zur Übung dienen und keine Vorschriften sind.

Joachim Meyer ist damit schon seit vielen Jahren die Grundlage der Fechtausbildung bei IN MOTU geworden. Die anderen Werke der übrigen Meister und Epochen dienen als Erweiterungen bzw. Vertiefungen der Fechter in Zusatzkursen und Seminaren.




[1] Lunds Universitets Bibliotek, MS A.4º.2, Lund Sweden ca. 1560.









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